Fesselnde Ideen in Luxemburg
Noch was aus dem Archiv...
Pubdate: 3. Dezember 2004
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STRAFVOLLZUG
Bei Verstoß Alarm-SMS aufs Handy - die elektronische Fußfessel
ermöglicht Überwachung rund um die Uhr.
Fesselnde Ideen
von Ines Kurschat
Die elektronische Fessel will Luxemburg in einem Modellversuch
testen. Ihre Aufgaben: statt Knast elektronische Überwachung und
Resozialisierung.
"Was hast'n du da am Fuß?" Die Frage eines Trainingskollegen im
Fitness-Center bringt Jean-Pierre mehr ins Schwitzen als die 20-Kilo-
Hantel, die er gerade stemmt. "Einen elektronischen Pulsmesser",
antwortet er schnell und versucht, den Blick des Kumpels vom
Kunststoffkästchen an seinem rechten Knöchel abzulenken. Denn Jean-
Pierre ist eigentlich ein Häftling - und trotzdem frei. Seine
Freiheit verdankt er dem unscheinbaren Gerät, das der Kollege so
neugierig mustert.
Die Szene ist fiktiv. Sie könnte aber schon bald Wirklichkeit werden,
denn im nächsten Jahr soll in Luxemburg ein bislang einmaliger
Modellversuch starten: der Hausarrest mit der elektronischen Fessel.
"Die Sache läuft", sagt Luc Reding aus dem Justizministerium, der das
Pilotprojekt betreut. Man habe sich bereits verschiedene Modelle
angesehen, bestellt sei bisher aber noch nichts. Das Luxemburger Wort
hatte dies vergangene Woche fälschlicherweise gemeldet. Klar ist nur:
Die elektronischen Fesseln, die hier zu Lande zur Anwendung kommen
werden, gehören zur ersten Generation. Anders als das
satellitengesteuerte GPS-System, das jederzeit den genauen Aufenthalt
seines Trägers feststellen kann, kontrollieren sie lediglich die
Anwesenheit an bestimmten Orten.
Das funktioniert so: Das schwarze Kunststoffband mit Minisender, von
der Größe einer klotzigen Digitalarmbanduhr etwa, das am Fuß- oder
Handgelenk des Gefangenen befestigt wird, ist mit einer an das
Telefon angeschlossenen Data-Box verbunden. Sie signalisiert jede
unerlaubte Entfernung des Probanden aus seiner Wohnung. Zusätzlich
zum Gerät bekommt der Gefesselte einen strengen Tagesrhythmus
auferlegt. Ein Wochenplan regelt aufs Genauste, wann der/die
Gefangene zur Arbeit gehen darf und wann er oder sie wieder daheim zu
sein hat. Bei Verstößen schlägt der Kasten per Telefon in der
Datenzentrale Alarm. Die Zentrale soll laut Justizministerium im
Schrassiger Gefängnis installiert werden. Die Überwachung des
Bewegungsablaufes übernehmen MitarbeiterInnen des Service central
d'assistance sociale (Scas).
Prinzip Freiwilligkeit
"Das wird in einer ersten Phase sicherlich Mehrarbeit bedeuten", sagt
Scas-Leiter François Kimmel. Schließlich müssten die Bewährungshelfer
auf Verstöße sofort reagieren. Per SMS erfahren sie vom Fehltritt
ihres Zöglings. Dann heißt es: Anrufen, den Ertappten zur Rede
stellen, neue Lösungen finden - Präsenzpflicht rund um die Uhr also.
Die Folgen der Allround-Kontrolle: Gefangene lernen Tugenden wie
Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Disziplin - mittels forcierter
Verhaltenstherapie. Zugleich wird auch die Arbeit der
Bewährungshelfer reglementierter.
"Das mag nicht jedem gefallen", räumt Kimmel ein. Er gehört
gleichwohl zu den Befürwortern der Fußfessel. Mehr noch, Kimmel
selbst hat das Projekt maßgeblich initiiert. "Jede Maßnahme, die
einen Gefängnisaufenthalt verhindert, ist gut", begründet er sein
jahrelanges Engagement in Sachen elektronischer Überwachung.
Unterstützt wird Kimmel von der Gefangenen-Hilfsorganisation Info
Prison. Dessen Vorsitzender Jeannot Schmitz sprach sich vergangene
Woche ebenfalls für die Fessel aus, allerdings mit einer
Einschränkung: "Die Fessel sollte als letztes Mittel angewendet
werden", betont Schmitz gegenüber der woxx. Zuerst sollten die
Gerichte "die anderen Strafmaßnahmen" anwenden: Bewährung, Bewährung
mit Auflagen, gemeinnützige Arbeit, beschränkte Entlassung. Zudem
müsse der Gefangene einverstanden sein. "Die Maßnahme muss natürlich
freiwillig sein, denn sie ist für die Betroffenen eine gewisse
Belastung", sagt auch Kimmel.
Die Freiwilligkeit hat Methode - in allen EU-Ländern, welche die
Fußfessel bisher anwenden (u.a. Schweden, Großbritannien, Belgien,
Frankreich, Deutschland). Für den seit 2000 laufenden Modellversuch
in Hessen etwa kommen nur Leute in Frage, die einen festen Wohnsitz
und ein Telefon haben sowie einer "sinnvollen Tagesbeschäftigung"
nachgehen. Sie dürfen nicht drogenabhängig sein, müssen sich als
einigermaßen ehrlich erwiesen haben, und die MitbewohnerInnen zu
Hause müssen der Kontrolle zustimmen. Denn die leben ebenfalls mit
dem rigiden Tagesablauf ihres Partners/ihrer Partnerin.
"Nicht jeder ist geeignet", sagt Luc Reding. Gewaltverbrecher und
Sexualtäter seien von vornherein vom Hausarrest ausgeschlossen.
Anders als in Deutschland, wo auch Untersuchungshäftlinge einbezogen
werden, beschränkt sich das hiesige Projekt auf StraftäterInnen, die
wiederholt gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben oder in der
Bewährung erneut straffällig geworden sind - und solche, deren
Entlassung bevorsteht und die allmählich an die neue Freiheit
herangeführt werden sollen. "Auf keinen Fall kommen Personen frei,
welche die öffentliche Sicherheit gefährden", verspricht Reding.
Staatsanwaltschaft und Bewährungsdienst gemeinsam sollen geeignete
ProbandInnen aussuchen. "Die kennen ihre Leute schließlich am
besten", sagt Reding, der davon ausgeht, dass der Testlauf, ähnlich
wie in Belgien, zunächst mit ein oder zwei Personen starten wird.
Zwei Jahre soll der Versuch dauern. "Dann werten wir das Ganze aus
und sehen weiter", so Reding. Für den "Follow-up" sei der Scas
zuständig.
Big-Brother-Zukunft
Doch während in Luxemburg die Maßnahme offenbar von allen Seiten
begrüßt wird, ist die Methode im Ausland keineswegs unumstritten. In
Hessen etwa warnte der Verband der Strafverteidiger vor dem
vermeintlichen Haftvermeidungsprogramm als weiteren Schritt in den
Überwachungsstaat. Nach Ansicht der Vorsitzenden der
Arbeitsgemeinschaft hessischer Bewährungshelfer, Sigrid Engelhard,
würden für den Versuch nur Leute ausgewählt, "bei denen eigentlich
nichts schief gehen kann". Statt viel Geld in die elektronische
Überwachung zu stecken, verlangen die Bewährungshelfer mehr Mittel
und Personal.
Die französische Gefangenenzeitung Envolée sieht im "bracelet
électronique" eine Verschärfung der Strafe. Straftäter mit
langjährigen Haftstrafen, die früher von der Regelung der "libération
conditionnelle" profitiert hätten, sich also "nur" regelmäßig bei der
Polizei oder einem Sozialarbeiter melden mussten, würden nun rund um
die Uhr bewacht. Und weil die elektronisch Gefesselten Telefon, eine
Wohnung und eine Arbeit vorweisen müssen, lästert Envolée
zudem: "C'est du pain béni pour les VIP délinquants."
Die Frage, ob mit der Fußfessel ein so genannter net- widening-Effekt
einher geht, ist bisher kaum beantwortet. Der Begriff kommt aus der
Kriminologie und beschreibt einen Sogeffekt: Denkbar wäre, dass
RichterInnen durch die "elektronische Fußfessel" härter sanktionieren
als notwendig. Fälle, die vorher mit Geld- oder Freiheitsstrafe auf
Bewährung geahndet wurden, könnten nunmehr mit der
Sanktion "elektronische Fußfessel" belegt werden.
Der Pressesprecher des hessischen Justizministeriums, Stefan
Fuhrmann, beteuert zwar, die Gerichte wendeten die Fessel lediglich
als "letztes Mittel" an. Es handele sich bei den Teilnehmern eben
nicht "um normale Bewährungsprobanden". Doch im ersten
Zwischenbericht des Max-Planck-Instituts*, das dem Elektro-Experiment
grundsätzlich gute Noten ausgestellt hat, wurde die Frage des
Sogeffektes gar nicht näher untersucht.
Eine ausführlichere Studie aus Kanada** zum "Electronic Monitoring"
(EM) kommt derweil zum Schluss: "(...) there is evidence suggesting
that many programs widen the correctional net." Und weiter: "That is,
they target relatively low risk offenders who could function well
without the additional controls imposed by EM."
Das hat Folgen für das von PolitikerInnen gerne ins Feld geführte
Kostenargument. Eine realistische Einschätzung der Kostenersparnisse
durch EM sei schwierig, so die kanadischen WissenschaftlerInnen: Sie
würden teilweise durch den net-widening-Effekt wieder aufgezehrt.
Wegen unterschiedlicher Rechtssysteme sind diese Ergebnisse
allerdings nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragbar.
In den USA, wo der elektronisch überwachte Hausarrest Anfang der 80er
Jahre entwickelt und bald darauf flächendeckend eingeführt wurde,
müssen sich Probanden an den Kosten beteiligen - ein weiterer Hinweis
darauf, dass es mit den Einsparungen nicht ganz weit her sein kann.
In Luxemburg ziehen Sparargumente ohnehin nicht: Dafür ist die für
den Versuch in Frage kommende Personengruppe einfach zu klein.
Dass die elektronische Überwachung durchaus wachsame und kritische
BeobachterInnen verdient, zeigen zwei Beispiele: In Großbritannien,
neben Schweden europäisches Vorreiterland in Sachen EM, werden nach
erfolgreichen Tests der ersten Generation von Fußfesseln neuerdings
auch Pädophile probeweise per GPS überwacht. Gleiches gilt für
abgelehnte AsylbewerberInnen, die in einem sechsmonatigen Testlauf
elektronisch überwacht werden. Der britische "Joint Council for the
Welfare of Immigrants" (JWCI) hat die Pläne der Regierung scharf
kritisiert: als "Eingriff in die Privatsphäre" und
als "Stigmatisierung".
Fussnoten:
* www.iuscrim.mpg.de/ verlag/Forschaktuell/ FA-Mayer.pdf
** www.psepc-sppcc.gc.ca/ publications/corrections/pdf/ em_e.pdf
'_' + __~ = *_*
"nur die Harten komm` in Garten – die Kiffer dürfen etwas länger braten !"
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"Erst wenn wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit alles zu tun"
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Da ich das aber logischerweise nicht in jedem Falle überwachen kann, fordert das Gesetz von mir, mich von den Inhalten aller verlinkten Seiten zu distanzieren. Das sei hiermit geschehen. Auch möchte ich nicht zum Drogenkonsum aufrufen.
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Der Autor haftet ausschließlich selbst für seine Äußerungen! Siehe hier: http://www.heise.de/newsticker/meldung/89348
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